02.01.2019: „La Bohéme“ (Stadttheater Klagenfurt)

Diese Oper mag manche vielleicht an „La Traviata“ erinnern – das ist kein Wunder, denn die beiden Komponisten Giacomo Puccini und Giuseppe Verdi stammen nicht nur aus derselben musikalischen Epoche, der Romantik; auch die Geschichte weist Parallelen auf. Deshalb konnte ich es kaum erwarten, neben „Tosca“ Puccinis wohl bekanntestes Werk, „La Bohéme“, zu sehen.

Paris, Ende des 19. Jahrhunderts. Vier Studenten, allesamt Künstler, wohnen in einer wahren Bruchbude, denn mehr können sie sich in der teuren Stadt nicht leisten. Und doch sind sie wahre Überlebenskünstler: Die jungen Männer haben für jede Notlage eine Lösung parat und trotzen den Missständen mit Witz und Humor. Eines Tages, als die Freunde ausgehen und nur Rodolfo zurückbleibt, sucht ihn die Nachbarin Mimí auf und bittet um Licht – und schon herrscht zwischen den beiden Liebe auf den ersten Blick. Doch Mimí hat nicht mehr lange zu leben, denn sie ist an der damals häufigen Tuberkulose erkrankt. Nach einigen Monaten inniger Liebe will das Paar auseinandergehen, doch Rodolfo erkennt, dass Mimí sterbenskrank ist und kümmert sich mit seinen Freunden auf liebevolle, aufopfernde Weise um sie. Dennoch hat der Todesengel sie fest in der Hand und schon bald stirbt sie im Kreis ihrer Liebsten.

Die vier Freunde und Mimí in einem Pariser Café

Zu der literarischen Vorlage von Henri Murgers „Scénes de la vie de Bohéme“ erschuf Puccini mit einem ganzen Team von Librettisten, das ihm auch bei seinen darauffolgenden Opern tatkräftige Unterstützung leistete, wunderschöne, ohrwurmanfällige Musik. Trotz der sehr dramatischen Handlung belastet sie nicht den Zuseher mit schwermütigen, sentimentalen Liedern, sondern es folgt eine erquickende Melodie nach der anderen. Im Gegensatz zu Verdis „La Traviata“ geht auch die letzte Szene, in der Mimí stirbt, relativ schnell und für das Publikum aus meiner Perspektive beinahe schmerzlos vonstatten. Ein Buffopaar, nämlich Marcello und Musetta, lockert außerdem mit witzigen Dialogen und Spielereien die Handlung auf. Ich war bis jetzt eigentlich nur von der Operette gewöhnt, dass es neben den Hauptfiguren noch ein Paar gibt, das die Stimmung hebt, aber durch Sehen dieses Werkes habe ich nun für mich herausgefunden, dass diese Besonderheit auch einer Oper ausgezeichnet stehen kann.

Wunderschönes Ambiente

Das Bühnenbild und die Regie (von Etienne Pluss und Florian Scholz) sind für mich ein wahrer Geniestreich. Die eigentlich im späten 19. Jahrhundert spielende Geschichte wurde knappe hundert Jahre in die Zukunft verlegt, man sieht nämlich als die Pariser Bruchbude der vier Freunde eine für die damalige Zeit typische Bassenawohnung. Sehr interessant inszeniert ist ebenfalls der zweite Akt, wenn in einem Pariser Kaffeehaus der weihnachtliche Trubel (brillant: Chor des Stadttheaters Klagenfurt und Singakademie Carinthia) im krassen Gegensatz zum Frischverliebtsein von Mimí und Rodolfo steht. Auch die Kostüme des Chors sind von Axel Aust mit viel Liebe zum Detail und zur Realität entworfen worden.

Doch einer der absoluten Höhepunkte war für mich das ausgezeichnete Ensemble, allen voran natürlich Kiandra Howarth als Mimí, eine Australierin, die vor allem in Mozart-Opern schon vielerorts gesehen werden konnte. Sie ist für die Rolle der sterbenskranken jungen Frau perfekt geeignet und imponierte mir vor allem mit ihrem schauspielerischen Talent. Besonders im dritten Akt, als Mimí durch Rodolfo endlich erkennt, dass es keinen Hoffnungsschimmer mehr für sie gibt, spielt sie diese Wandlung ihrer Rolle herausragend; auch gefällt sie mit dem für die Partie ausgezeichnet passenden lyrischen Sopran.

Die sterbende Mimí im Kreis ihrer Freunde (alle Szenenfotos: Stadttheater Klagenfurt)

Ihre Beinahe-Landsfrau, die Tasmanierin Bryony Dwyer, verkörperte Musetta, ein Flittchen, das sich einen Spaß daraus macht, ihre zahlreichen Verehrer abzuweisen. Über ein gewonnenes Stipendium an der Wiener Staatsoper kam sie zum Stadttheater Klagenfurt, wo sie mittlerweile Ensemblemitglied ist. Mir gefällt ihre Interpretation dieser Rolle sehr, denn obwohl sie verdeutlicht, dass Musetta mit den Männern spielt, sucht sie jemanden, an dem sie sich anhalten kann. Und diesen Mann findet sie in Marcello, wobei auch die beiden mit Beziehungsproblemen kämpfen.

Bleiben wir gleich bei letzterem und seinen Freunden: Ich bin fasziniert von der Tiefgründigkeit der vier Charaktere, die sich vom Unglück einfach nicht unterkriegen lassen und den Schicksalsschlägen ihres Lebens mit Humor begegnen – und trotzdem, im Angesicht von Mimís Tod, realisieren, dass, wie Dramaturg Markus Hänsel treffenderweise feststellt, „das Schicksal nicht mehr mit Humor genommen werden kann“. Besonders hervorzuheben ist der Sardinier Matteo Desole als Rodolfo (er sang diese Partie schon bei den Tiroler Festspielen in Erl), der mit einer tollen und vor allem in den Höhen sicheren Stimme überraschte. Auch Andrzej Filonczyk als Marcello, Gurgen Baveyan (Schaunard) und Ricardo Fassi (Colline) punkteten mit schönen Bass- und Baritonstimmen und großartigen Schauspieltalenten. Weiters zu erwähnen sind Tiziano Bracci als Monsieur Benoît, Taras Kuzmych (Alcindoro/Zöllner), Woohyun Park (Parpignol) und natürlich das von Gábor Hontvári sicher und stimmig geleitete Kärntner Sinfonieorchester.

Es war wohl einer der besten Wege, um auch in den Weihnachtsferien ein tolles Kulturerlebnis zu erfahren – mit einer höchst professionellen Produktion und vor allem einer spannenden Inszenierung schaffte mir das Stadttheater Klagenfurt einen Abend, den ich nicht so schnell vergessen werde und ich bin mir sicher, ich komme bald wieder!

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