Zum Saisonauftakt 2019/20 verschlug es mich ins Stadttheater Baden, wo ein letztes Mal „Kuss der Spinnenfrau“ stattfand. Von diesem Werk des Duos John Kander und Fred Ebb hatte ich schon zuvor viele unterschiedliche Ansichten gehört, sodass ich anschließend der Versuchung des Kennenlernens eines vielleicht künftigen Lieblingsmusicals nicht widerstehen konnte und kurzerhand eine letzte Karte ergattern konnte. Ob es sich gelohnt hat, werdet ihr in den kommenden Zeilen erfahren…
Das Musical selbst erzählt die Geschichte des Schaufensterdekorateurs Luis Molina, der aufgrund von Belästigung eines Minderjährigen in einem lateinamerikanischen Gefängnis seine Haftstrafe absitzt. Einzige Gesellschaft leisten ihm unzählige Poster des Filmstars Aurora, welche sein größtes Vorbild ist. Als Verarbeitung der Brutalität träumt Molina sich in die Welt der Filme und lässt jene Revue passieren, bis eines Tages blutüberströmt und halb ohnmächtig ein neuer Genosse in die Zelle gestoßen wird. Liebevoll kümmert sich Molina um jenen Valentin, der allerdings anfangs extrem abweisend der gewandten und witzigen Art des Protagonisten ist. Nach einiger Zeit beginnt Valentin, sich Molina gegenüber zu öffnen und es zeigt sich, dass die beiden unterschiedlicher nicht sein könnten. Heterosexualität trifft auf Homosexualität, Marxismus trifft auf politisches Desinteresse. Trotzdem schweißt der harte und unbarmherzige Gefängnisalltag sie immer mehr zusammen und es entwickelt sich eine stahlharte Freundschaft. Sie tauschen Geschichten aus; unter anderem, dass sich der Schaufensterdekorateur immer schon vor einer Rolle Auroras gefürchtet hat: der Spinnenfrau, die ihre Opfer mit einem letzten Kuss betört, während Valentin sich als dringend gesuchter Freiheitskämpfer herausgestellt hat. Schon bald darf Molina das Gefängnis wieder verlassen – und gesteht Valentin seine Liebe. Um eine letzte Sache bittet jener seinen Freund; er soll in Freiheit Valentins Freundin Marta anrufen. Obwohl er dadurch ein Risiko eingeht, willigt Molina ein und wird bei dem Unternehmen ein zweites Mal verhaftet. Man foltert ihn vor den Augen seines Zellengenossen, bis er, sollte er nicht reden, mit dem Tod bedroht wird. Molina opfert sich und wird daraufhin erschossen. Das Stück endet mit einem Kuss, den die Spinnenfrau ihm bei einem letzten Tanz auf die Lippen drückt. Untermalt wird diese sehr tiefgründige Geschichte von genial durchkomponierten Szenen, die vor allem das lateinamerikanische Genre beherrscht. Ein grooviger Rhythmus trifft auf den anderen, auch Ohrwürmer hat das Musical zu bieten.
Sehr überrascht hat mich die durchdachte Inszenierung und Regie von Werner Sobotka und vor allem die äußerst interessante Darstellung des Molina. Es fällt so leicht, seine Beweggründe zu verstehen – und doch ist er eine für das Musical sehr untypische Rolle. Großartig und unerwartet farbenfroh fielen die Kostüme von Friederike Friedrich aus, auch Natalie Holtom beeindruckt mit einer äußerst komplizierten Choreographie. Souverän führte Christoph Huber das Orchester durch den Abend, auch der Chor der Bühne Baden glänzte unter seiner Leitung.
Doch das persönliche Highlight kommt zum Schluss: das höchst professionelle, gesanglich sowie schauspielerisch unglaublich talentierte Ensemble, allen voran Drew Sarich als Molina. Er meisterte diese Rolle bravourös und ich bin jetzt noch höchst beeindruckt von seiner überzeugenden Spielweise und der Gestaltung eines äußerst schwierigen Charakters. Man litt mit ihm, man lachte mit und über ihn und konnte jeden einzelnen Moment genießen. Dasselbe gilt für Martin Berger, der einen ebenso starken Auftritt hinlegte und an nichts zu wünschen übrig ließ. Die „Spinnenfrau“ Ann Mandrella bot mit ihren vielen verschiedenen Filmrollen dem Publikum eine schauspielerisch köstliche und stimmlich einwandfreie Gesamtheit und konnte mit viel Charme und Witz punkten. Weiters großartig agierten Andrea Huber als Molinas Mutter und Marta Elisabeth Ebner, deren berührendes Quartett mit Drew Sarich und Martin Berger immer noch im Ohr bleibt. Gänsehaut garantiert!
Damit danke für einen mir persönlich sehr wertvollen Abend mit einer unglaublich tollen Produktion, höchst professionellen Künstlern und einer Geschichte, die einen wieder an Mut, Tapferkeit und Einsatz füreinander glauben lässt!