Nicht nur Mythologie und Fabeln, sondern auch Märchen sind sich in den verschiedensten Kulturen sehr ähnlich und werden deshalb gerne als Vorlage für Opern verwendet. So ist es auch bei der tschechischen Erzählung „Rusalka“ (zu deutsch Wassernixe), die von dem spätromantischen Komponisten Antonín Dvořák vertont wurde. Zum Saisoneinklang im Theater an der Wien ist nun jenes Stück neu produziert und inszeniert worden; ich war für euch mit dabei!
Die Handlung selbst erinnert stark an die von Andersens „Die kleine Meerjungfrau“ und berichtet somit über eine Nixe, die dem Meeresboden entkommen und stattdessen ein Mensch sein will. Der Wassermann rät ihr, die Hexe aufzusuchen, doch die Verwandlung fordert ihren Preis: Im Austausch soll sie für immer verstummen. Rusalka willigt ein und findet sich in einem Wald wieder, wo ein Prinz sie findet und als seine Verlobte ins Schloss holt. Dort wird unter Adel und Hofstaat fleißig getratscht, auch der Prinz ist sich über Rusalkas eher abwehrende Haltung gegenüber körperlichen Annäherungen unsicher. Beide sind zutiefst unglücklich, doch die Hexe hat eine Lösung parat. Sie solle den Prinzen umbringen, dadurch könne sie wieder in Frieden leben. Diesen Vorschlag lehnt die Nixe vehement ab, doch der Prinz sieht ohne sie in seinem Leben keinen Sinn mehr. Er lässt sich von ihr küssen und stirbt kurz darauf vor ihren Augen.
An Richard Wagners „Der Nibelungenring“ angelehnt, verwendet Dvořák viele zu den Hauptfiguren passende Motive. Bis auf Rusalkas berühmtes und gleichzeitig wunderschönes Mondlied kommen nur wenige Arien in dem Stück vor. Das liegt sicher auch daran, dass die Protagonistin große Teile des Werkes stumm ist und, nur szenisch beziehungsweise musikalisch vorrangig durch die Harfe unterstützt, interagiert. Dennoch bleibt die Intensität der Liebesbeziehung von Prinz und Nixe teilweise ungeklärt, die Verlangen nach einerseits körperlicher Nähe und andererseits neuen Erfahrungen werden nicht gestillt. Somit werden auch kaum Duette verwendet, sondern durchkomponierte Rezitative und viel Gestik dienen zur Kommunikation.
Wie in anderen Märchen auch, finden sich in dieser Erzählung viel Psychologie und Ethik. Rusalka durchlebt viele verschiedene Formen des Menschseins, erkennt, wie schwierig es meist ist, zu lieben. Auf dem Grund ihrer Heimat fand sie Fröhlichkeit, Verspieltheit und eine Familie; dennoch war sie stets auf der Suche – auch als Mensch. Dem Prinz geht es ebenso, nur sehnt er sich nach Erotik. Ein klassisches Dilemma in Form eines Missverständnisses – doch eine teilweise versuchte Kommunikation scheitert. So ist es kein Wunder, dass eine Entfremdung stattfindet und der Prinz zu der fremden Fürstin, seiner eigentlichen Verlobten, zurückkehrt.
Das Theater an der Wien setzte dieses Werk mit einem sehr nüchternen, aber praktischen Bühnenbild von Christian Schmidt um, das vorwiegend aus drei Räumen aus betonähnlichem Material bestand. Die grauen Wände wurden von Zeit zu Zeit mit Projektionen in Form von kurzen Videoclips oder Simulationen bestückt und trug zu einem besseren Verständnis des doch relativ komplexen Geschehens bei; dasselbe gilt für die ausgezeichnete Regie von Amélie Niermeyer, die vor allem viel auf Körperkontakt und erotische Anziehung eingeht und die Aspekte des Menschlichseins, der charakterlichen Wandlung von Rusalka, in den Vordergrund stellt. Dennoch wurde die ohnehin schon grausame Handlung durch viel Blut in einzelnen Passagen verstärkt, was für meinen Geschmack durchaus entbehrlich gewesen wäre. Eine großartige Idee fand ich vor allem wegen tollen Lichteffekten den riesigen Kronleuchter, der Abwechslung in das sonst nüchterne Prinzenschloss brachte.
Ein großes Danke ebenfalls an das perfekt harmonierende, höchst professionelle Ensemble mit internationalen Größen wie Günther Groissböck (Wassermann) und Kate Aldrich (Fremde Fürstin), auch „Rusalka“ Maria Bengtsson und ihr Prinz Ladislav Elgr konnten mit schönen Stimmen und interessanten Interpretationen das Publikum überzeugen. Einwandfrei das ORF-Radiosymphonieorchester unter der Leitung von David Afkham und der von Roger Díaz-Cajamarca einstudierte Arnold-Schönberg-Chor.
Wer eine in anderen Erzählungen eher belanglose Geschichte auf tiefsinnigste Art und Weise aufgearbeitet sehen will, dem kann ich diese Oper sehr ans Herz legen. Eine rührende Geschichte mit komplizierten, aber bezaubernden Melodien, verwoben in eine höchst professionelle Produktion!