01.07.2021: „Der zerbrochne Krug“ (Burgfestspiele Perchtoldsdorf)

Die Premiere war ins Wasser gefallen, weshalb es erst einen Tag später zur ersten Vorstellung von „Der zerbrochne Krug“ kam: Während der Abenddämmerung konnte das Publikum Heinrich von Kleists Lustspiel hautnah in der Burg Perchtoldsdorf erleben. Ein Potpourri aus Witz und Wahnsinn, Emotion und Sachlichkeit, Eleganz und Verstörung.

Es ist schon Kleists Textvorlage, die jene widersprüchlichen Gefühle erzeugt – seine Sprache verschleiert gekonnt die wahren Motive der Handelnden, wobei der Plot an sich im Grunde genommen recht einfach gestrickt ist. Im fiktiven Huisum, einem niederländischen Dörfchen, verlangt eine Dorfbewohnerin nach einem Gerichtsprozess. Der Partner ihrer Tochter Eve habe ihren Krug in der Nacht zuvor zerbrochen, klagt Marthe an. Unter der Beaufsichtigung eines Gerichtsrates versucht Dorfrichter Adam, den Fall zu lösen. Dabei kommen unschöne Erkenntnisse zum Vorschein, die nicht nur ihn, sondern auch Eve selbst betreffen… Im Zuge der Gerichtsverhandlungen kämpfen die Figuren um die Wahrheit und müssen sich Vertrauenskonflikten stellen, die ihre persönlichen Beziehungen in ihren Grundfesten erschüttern.

Regie führt die studierte Schauspielerin Veronika Glatzner, die das Konträre in Kleists Stück aufgreift und vertieft. Die Personenführung ist keineswegs eindeutig, die jeweiligen Motive der Figuren nur in Umrissen erkennbar. Ohne den moralischen Zeigefinger zu stark zu bedienen, lässt sie das Publikum einen Gegenwartsbezug spüren – so wird einerseits das innenpolitische Geschehen rund um die Justiz, andererseits die MeToo-Bewegung als Thema aufgegriffen. Mithilfe der Kostüme von Paul und Marie Sturminger schafft die Regisseurin eine weitere Ebene, die einen Sprung in die nahe Zukunft ermöglicht. Dadurch muten die Protagonisten gegenwärtig an, ohne dass der mehr als zweihundert Jahre alte Text von Kleist zu stark verändert wird. Angelika Messners Dramaturgie hilft dabei, Inhalt und Figuren besser zu verstehen, wodurch der Abend auch für weniger mit Kleist Vertraute zugänglich ist.

Ein spannendes 360-Grad-Erlebnis: Kleists „Krug“ in Perchtoldsdorf (Fotos: Alexi Pelekanos)

Das bühnenbildnerische Konzept, ebenfalls von Maria und Paul Sturminger, bietet eine spannende Lösung für die Voraussetzungen vor Ort: So gibt es keine Bühne im klassischen Sinn, da die Zuschauerränge stadionartig nach allen Seiten hin angeordnet sind. Wie bei einem Fußballfeld befindet sich die Bühne in der Mitte. Durch drehbare Elemente bespielt das Ensemble perfekt das Publikum und durchbricht durch Aufgänge entlang der Tribünen regelmäßig die vierte Wand. Unbedingt hervorzuheben ist an dieser Stelle die großartige Tontechnik von Walter Till, die trotz der Freilichtveranstaltung jedes gesprochene Wort verständlich macht. Ins Gesamtbild fügen sich die Soundeffekte – im Programmheft als „Musik“ bezeichnet – von Michael Pogo Kreiner und Daniel Helmer, die die leicht verstörende Wirkung der Produktion eher verstärken, als die Performance abzurunden.

Schauspielerisches Highlight des im Gesamten überzeugenden Ensembles ist die letzte Szene, in der Eve in einem Schlussmonolog den Tathergang rekonstruiert. Lebendig, äußerst anschaulich und geradezu krimiartig packend liefert Hannah Rang als Tochter der Anklägerin ihre Version der Geschichte. Besonders interessant ist ihre Art, den Dialog zwischen Richter Adam und Eve zu präsentieren, wobei Rang ihre Figur weder ins Lächerliche zieht noch zu verletzend gestaltet. Auch das restliche Ensemble beeindruckt in dieser Szene stark und verschmilzt zu einer künstlerischen Einheit, die im Stück sonst nicht zu finden ist.

Kai Mertens als Richter Adam besticht mit einer brillanten, sauberen Aussprache, wird aber leider durch die Regie ein wenig überzeichnet. Dass Adam während des Stückes immer wieder zum gebrannten Alkohol greift und dies ein Grund für seine widerliche, selbstgefällige Art ist, erscheint in der Interpretation zu einfach. Für das eigene Empfinden eine Spur „too much“, erinnert seine Rollengestaltung an ein Kleinkind ohne Manieren. Dennoch ist die Figur eine gute Metapher für eine nicht funktionierende Justiz, wie von der Regisseurin intendiert, und regt zum Nachdenken an.

Dominik Warta gibt einen authentischen Gerichtsrat, Emanuel Fellmer als Schreiber Licht ergänzt das Trio der Gerichtsbarkeit perfekt. Birgit Stöger gefällt als Frau Marthe, ist besorgte Mutter und erzürnte Besitzerin des zerbrochenen Kruges. Gelungen ebenfalls Phillipp Laabmayrs Interpretation des Ruprecht, während Marie-Christine Friedrich eine schrullige „Frau Bediente“ gibt und später wieder als Magd auf der Bühne erscheint.

Schräg ist die Inszenierung allemal, aber dies hat sie Heinrich von Kleists Stoff zu verdanken: Auf der Suche nach der Wahrheit winden sich die Figuren in Widersprüche und widerlegen sich selbst. Eine gelungene Produktion, die ohne große Längen zum Nachdenken einlädt und einen verstaubten Klassiker für alle verständlich ans Tageslicht holt.