Da das Musiktheater meistens nicht auf reale Begebenheiten basiert, diente vielen Komponisten antike Mythologie aus den verschiedensten Kulturen als Inspiration. So entwickelte Richard Wagner aus den nordischen Nibelungensagen beispielsweise einen ganzen Opernzyklus, doch besonders beliebter Stoff waren Mythen vor allem für Operetten. Das hat sich auch der französische Komponist Jacques Offenbach gedacht und entwickelte aus einer der interessantesten griechischen Geschichten ein sowohl satirisches als auch sehr gesellschaftskritisches Werk namens „Orpheus in der Unterwelt“.
Unter den antiken Griechen ist Orpheus so in etwa wie die heutige Ariana Grande – ein Weltstar mit einer herrlichen Stimme und überragendem musikalischem Talent. Glücklich verheiratet ist er mit Eurydike, die ebenfalls Musik im Blut hat – doch in der Operette geht es mit der Beziehung der beiden steil bergab. Während ihr Mann sich mit seinen Geigenschülerinnen amüsiert, langweilt Eurydike sich zu Tode und „besucht“ ihren Nachbar Aristeus, der im Endeffekt Pluto, Gott der Unterwelt, ist und das Diabolische verkörpert. Er entführt Eurydike in sein Reich, während Orpheus nur allzu glücklich über den Tod seiner Frau ist. Doch die Öffentliche Meinung zwingt den Musiker dazu, den Olymp zu besteigen und die Götter davon zu überzeugen, ihm die Gattin zurückzugeben. Kurzerhand statten alle Pluto einen Besuch in der Hölle ab und holen sich Eurydike zurück – doch Orpheus darf beim Verlassen der Unterwelt nicht hinter sich blicken, da jene sonst für immer verschwinden würde. Weil beide miteinander nichts mehr zu tun haben wollen, dreht er sich um und sie sehen einander nie wieder.
Zwar kam die Operette erst 1913, also mehr als 60 Jahre nach der Uraufführung, an die Volksoper, aber schon anlässlich der Eröffnung des Kaiserjubiläums-Stadttheaters 1898 wurden einzelne Melodien wie zum Beispiel der berühmte Can-Can gespielt. Die Inszenierung von Mathias Fischer-Dieskau (Bühnenbild) und Helmut Baumann (Regie) wurde 2007 aufgeführt und nun erfolgreich wiederaufgenommen. Kein Wunder, denn sie ist farbenfroh und vor allem in Regie und Kostümbild extrem einfallsreich. Besonders die Langeweile unter den olympischen Göttern sowie bei Eurydike, als sie auf ihren Nachbarn Aristaios wartet, ist köstlich zu sehen und toll an die ebenso witzigen Textpassagen adaptiert.
Vor kurzem ist in der Volksoper ja auch Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ am Spielplan gestanden und ich finde es sehr interessant, wie unähnlich sich die Werke eigentlich sind – eines davon quirlig und amüsant, das andere eher düster und auch musikalisch (bis natürlich auf die fulminante Olympia-Arie) meiner Meinung nach weniger aufregend. Dennoch geht es bei der „Orpheus in der Unterwelt“ weniger um die Musik, sondern eher um den historischen Hintergrund. Dem Komponisten war es ein Anliegen, durch sein Stück satirisch an der damaligen Gesellschaft Kritik zu üben und dadurch auch die damals allgegenwärtige Zensur zu umgehen (viele wurden damals tatsächlich aufgrund ihrer Werke verhaftet – Paradebeispiel dafür ist Johann Nestroy, der aufgrund seiner bissigen Kritik mehr als nur einmal im Gefängnis landete).
Anlässlich der Wiederaufnahme in der Volksoper wurden beinahe alle Rollen neu besetzt – so verkörpert von nun an Carsten Süss besagten Orpheus und fällt meiner Meinung nach leider weder gesanglich noch schauspielerisch großartig auf. Einzig mit Rebecca Nelsen als Eurydike blüht er geradezu auf und als Paar können sie das Publikum öfters zum Schmunzeln bringen. Letztere zeichnet die stets gelangweilte Ehefrau charakterlich ausgezeichnet, besonders im 2. Akt, als Jupiter (Martin Winkler), in eine Stubenfliege verwandelt, ein Techtelmechtel mit ihr anfängt und die beiden die fürs Musiktheater relativ ungewöhnliche Szene zum Brüllen komisch gestalten. Generell werden die olympischen Gottheiten als sehr überdreht dargestellt und sind extrem genervt von Jupiter und seinen Liebschaften (sie hängen ihm sogar in einer Strophe den derzeitigen Ibiza-Skandal an). Vincent Schirrmacher gibt einen teuflischen und betrügerischen Pluto zum Besten, Direktor Robert Meyer hat mit „Als ich noch Prinz war von Arkadien…“ die Lacher an seiner Seite.
Insgesamt ein großartiger Abend mit einem tollen, sich amüsierenden Publikum und eine ebenso großartige Produktion!