09.12.2018: „Wonderful Town“ (Volksoper)

Nicht nur die Volksoper zelebriert in diesem Monat ihr 120-jähriges Bestehen, sondern auch Musicalkomponist und Dirigent Leonard Bernstein hätte seinen 100. Geburtstag gefeiert. Angesichts dieser Tatsache kehrte sein Musical „Wonderful Town“ an das Wiener Opernhaus zurück.

Ganze 62 Jahre ist es her, dass Bernsteins Werk am Währinger Gürtel in deutscher Sprache erstaufgeführt wurde. Er selbst hatte es in jungen Jahren komponiert: „Wonderful Town“ gilt als Vorreiter seiner beiden Welterfolge „West Side Story“ und „Candide“.

Das Stück spielt in den 1930er Jahren in der Metropole New York. Die beiden Schwestern aus der Provinz, Ruth und Eileen Sherwood, hoffen dort auf eine große Karriere als Schauspielerin und Schriftstellerin. Doch schon am Tag ihrer Ankunft geht alles schief–während Ruth keine Engagements erhält, laufen Eileen die Männer nur so hinterher. Es ist witzig zu beobachten, wie verschieden ihre Charaktere sind: Ruth ist eher derb und praktisch veranlagt, dennoch wirkt sie durch ihren sarkastischen, vor Selbstironie triefenden Humor zutiefst sympathisch. Dasselbe gilt für ihre jüngere Schwester, die mit ihrer reizenden, erquickenden Art die Herzen für sich gewinnt und trotzdem in ihr keine Spur von Eitelkeit zu finden ist. Doch dann lernt die Schriftstellerin Robert „Bob“ Baker, den Herausgeber des Manhattan Magazine, kennen. Zunächst ist er nicht sehr erbaut von ihren Schriftstücken, doch als er ihr Abenteuer mit den brasilianischen Seekadetten („Conga“) zu lesen bekommt, ist er von Ruth gänzlich überzeugt. Eileen springt anschließend als Vermittlerin ein, wodurch der Liebe nichts mehr im Weg steht und ein Happy End folgt.

Bernstein experimentierte sehr geschickt mit den damaligen Hauptstilrichtungen Blues, Swing, Jazz und schaffte damit einfache und vor allem eingängige Melodien. Das ist eine mehr oder weniger völlige Neuheit für mich gewesen – obwohl die Volksoper immer wieder klassische amerikanische Musicals der 1930-60er Jahre produziert, hat es mich schon immer eher in Richtung Oper und Operette gezogen. Doch diese Welt hat sich mir durch „Wonderful Town“ dankenswerterweise erschlossen, ja mich zu faszinieren begonnen. Je öfter ich mir diese Musik jetzt anhöre, desto mehr begeistert sie mich und es entwickeln sich Songs, die stundenlang nicht mehr aus meinem Kopf verschwinden wollen (so geht es mir zum Beispiel mit „Swing“ oder „Conga“, langsam brauche ich „100 Tipps, einen Ohrwurm zu verlieren“ 😂😉). Bernstein hat sozusagen in alle Musikrichtungen geschrieben; ob langsame Liebeslieder, fetzige Vorreiter von Rocksongs oder schwere, schlampige Orchestersoli, alles kommt in seinem Stück vor. Die Orchestrierung ist mit einer Art Big Band zu vergleichen, nicht umsonst besteht es nämlich zum größten Teil aus Blechbläsern, Streicher sind eher weniger vertreten. Das ist, da der Komponist ein großer Fan dieser Instrumente war, nicht weiter verwunderlich; dennoch hätte er bedenken müssen, dass dies sich auch gravierend auf die Lautstärke auswirkt. Vor allem für das weiter vorne sitzende Publikum ist das Orchester ab und zu so laut,dass es schon in den Ohren beginnt zu schmerzen.

Im Village Vortex (alle Barbara Pálffy)

Diese Produktion entstand übrigens in Kooperation mit der Staatsoperette Dresden, von wo unter anderem die komplette Inszenierung übernommen wurde. Diese ist dank Matthias Fischer-Dieskau, der für den Entwurf des Bühnenbildes zuständig ist, trotz der ständigen Szenenwechsel sehr einfallsreich und vorteilhaft ausgearbeitet, wobei das Ensemble selbst Hand anlegt; die Zuschauer bemerken diese gekonnten Umbauten kaum. Wo man sich im ersten Moment noch auf den Straßen des Big Apple befindet und die Skyline im Hintergrund sichtbar ist, erblickt man Sekunden später die Mietwohnung der Sherwoods oder den New Yorker Nachtclub.

Die Szenerie wird durch die spritzige, stimmige Regie von Mathias Davids perfekt ergänzt, ein weiterer Höhepunkt dieses Abends waren die kreativen und mitreißenden Choreographien von Melissa King. Es ist eine absolute Meisterleistung, die das Ensemble bietet und sein ganzes tänzerisches Können zur Schau stellt. Auch die Kostüme stellten eine Augenweide dar: Während die der Protagonistinnen in leuchtendem Orange und Gelb gehalten waren, bekamen die Einwohner der„Christopher Street“ die kreativsten Kombinationen und New York entwickelte sich so von einer in Wirklichkeit pulsierenden Weltmetropole voll von geschäftigem Treiben in eine bunte, mit Fantasie angehauchte Welt.

Absolute Meisterleistungen erbrachten die Solisten, allen voran Sarah Schütz als Ruth Sherwood, die meines Erachtens die mit Abstand interessanteste Rolle des Stückes verkörperte. Und diese Rolle ist eindeutigerweise nicht leicht: Abgesehen von den phänomenalen Tiefen im Duett mit Eileen hat sie auch die größte schauspielerische Herausforderung, denn diese Figur muss spöttisch, ironisch,humorvoll und trotzdem sympathisch zugleich sein. Und das alles vereinte die Mezzosopranistin und konnte das Publikum mit ihrem herben Charme überzeugen. Großartig finde ich vor allem die rhythmische Nummer „Swing“, in der sie ihr ganzes Können tänzerisch und stimmlich zeigen kann. Perfekt harmoniert sie mit Olivia Delauré, Ensemblemitglied der Dresdner Staatsoperette, welche Eileen Sherwood übernahm. Sie hat eine wahnsinnig tolle Bühnenpräsenz und lässt ihre Rolle nicht zu einem arroganten Kunstbild werden, sondern gestaltet sie mit Natürlichkeit und einem großen Herz. Sie ist sich ihrer Anziehungskraft auf das männliche Geschlecht einfach nicht bewusst, was sie noch unwiderstehlicher macht.

Großer Respekt geht an Drew Sarich, der eine für ihn laut eigener Aussage sehr schwer identifizierbare Partie, Robert Baker,verkörperte. Der Herausgeber des Manhattan Magazines ist ein unzufriedener, negativer Mensch, dem es so ging wie vielen damals:Baker suchte Erfolg in Karriere und Liebe durch einen Umzug nach New York, beides aber bekam er nicht. Als dann Ruth zu ihm kommt, legt er ihr wärmstens ans Herz, nur weg nach Ohio zu gehen. Doch sehr spät erst bemerkt er durch die professionellen Ratschläge von Eileen(Verliebt, verliebt), dass er Gefühle für sie hat und die beiden werden ein Paar. Der Tenor überrascht mal wieder mit seiner außergewöhnlichen Stimmfarbe und holt aus seiner eher ungewohnten Rolle das Beste heraus.

Sarah Schütz und Drew Sarich

„The Wreck“ macht seinem Namen alle Ehre: Peter Lesiak, vielen bekannt als Vogelscheuche in „Der Zauberer von Oz“, hatte sich leider bei der Generalprobe am Knie verletzt, erbrachte aber eine absolute Höchstleistung. Es ist bewundernswert, wie er als Loomis trotzdem herumsprang und -tanzte. Alle Achtung!

Christian Graf fiel wieder einmal ein „Unsympathler“ zu: Er verkörperte unter anderem den hinterhältigen Journalist Chick Clark und überzeugte mit seinem Schauspieltalent, das er gemeinsam mit Oliver Liebl als Frank Lippencott in der Miskommunikationsszene zur Schau stellte. Auch Mr. Akropolis…entschuldigt, der Maler Appopulous (Christian Dolezal) überzeugt voll und ganz, Juliette Khalil als Loomis‘ Verlobte Helen gefiel wie immer mit ihrem reizenden Charme. Auch Jakob Semotan (Danny), der tolle Tänzer Cedric Lee Bradley (Speedy Valenti), Regula Rosin (Helens Mutter),Ines Hengl-Pirker (Violet) und Alexander Pinderak (Lonigan) verdienen auf jeden Fall ein großes Lob.

Fazit: ein Musical, das mir trotz einiger Längen im ersten Teil jeden Besuch besser gefällt und vor allem mit großartiger,eingängiger Musik vom Allrounder Leonard Bernstein punktet!