Auswirkungen von Covid-19 auf die Kulturszene IV: ein hoffnungsvoller Ausblick

Der Sommer rückt immer näher. Die allermeisten wissen wohl, was das für die Musiktheaterszene üblicherweise bedeutet – die größeren, fixen Spielstätten wie die Wiener Staatsoper, die Oper Graz oder auch das Landestheater Linz gehen in die traditionell zwei Monate lange Sommerpause und nehmen erst wieder mit Anfang September den Betrieb auf, während andere Ensembles sowie Veranstalter eifrig zu proben beginnen. Denn nun stehen die Sommerfestivals wieder auf dem Programm und warten mit Freilichtbühnen, lauen Theaterabenden und passenden Neuproduktionen oder Wiederaufnahmen auf. Doch aus wohl allseits bekannten Gründen ist heuer einiges anders. Zu Beginn der Coronakrise hieß es zwar sogar, dass bis Ende August überhaupt keine Veranstaltungen mehr stattfinden dürfen würden, doch angesichts der niedrigen Infektionszahlen hat das Kulturministerium nun den Institutionen selbst die Wahl überlassen, ob ihnen die Durchführung einer Produktion mit Einhaltung der Hygienebestimmungen im jeweiligen Einzelfall möglich erscheint.

Wie im vorherigen Teil dieser Reportagereihe thematisiert, kommen diese Maßnahmen für einige Festspiele bereits zu spät. Zu unsicher waren die letzten Monate, zu hoch das finanzielle Risiko, zu viele ungünstige räumliche Voraussetzungen. Für andere Kulturbetriebe wiederum hat sich das lange Warten ausgezahlt. Denn seit 29. Mai sind die ersten Veranstaltungen im allerkleinsten Rahmen wieder erlaubt. Der nächste, für den ersten Juli angesetzte Schritt lässt dann Outdoor-Veranstaltungen von bis zu 500 und Indoor-Veranstaltungen von bis zu 250 Personen zu. Das sind zwar dennoch nicht die allerbesten Bedingungen für einen gewohnten Ablauf der alljährlichen Sommerfestspiele, aber durch die Findung unterschiedlichster Kompromisse ist es zumindest ein Lichtblick für Veranstalter sowie Publikum. Die Salzburger Festspiele beispielsweise finden heuer in verkleinerter Form mit einem begrenzten Kartenkontingent statt, doch dafür werden die berühmte Rezeption des „Jedermann“ am Domplatz oder auch die Opernpremiere von Mozarts „Cosí fan tutte“ tatsächlich wie geplant aufgeführt. Das ist nicht nur für die einheimischen Opernliebhaber eine erfreuliche Nachricht, sondern durch Pilger aus dem Ausland kann auch der aufgrund von Corona stark eingebrochenen Tourismusbranche unter die Arme gegriffen werden.

Eine spürbare Erleichterung sind diese Umstände ebenfalls für kleinere, national bekannte Veranstaltungen. Nach Veröffentlichung der Bedingungen für einen Spielbetrieb diesen Sommer mussten die bis dato unentschlossen Verbliebenen flugs eine Entscheidung treffen – die nächsten Absagen oder Verschiebungen folgten. So musste beispielsweise der Intendant der Schlossfestspiele Langenlois, Christoph Wagner-Trenkwitz, die Premiere der „Fledermaus“ auf Juli 2021 verschieben. Zur Erinnerung: Nur wenige Wochen zuvor zeigte er sich im zweiten Teil dieser Reportagereihe ungebrochen optimistisch und hoffnungsvoll. Seine erste künstlerische Leitung zelebriert er trotzdem mit einem Operettenkonzert, das ganz dem Motto „Glücklich ist, wer vergisst…“ gewidmet wird – an zwei Abenden darf auf diese Weise ein deutlich reduziertes Publikum bekannte Operettenmelodien unter seiner Präsentation genießen.

Auch das Musikfestival Steyr hat sich kurzfristig umentschlossen. Als eines der wenigen heuer tatsächlich stattfindenden Festivals wird heuer nicht „Saturday Night Fever“ mit Musik der Bee Gees aufgeführt, sondern eine Musicalrevue mit den größten Hits aus der Sparte. Vize-Intendant Kurt-Werner Maier gibt einen Überblick zum aktuellen Plan:

„Die ursprünglich geplante Produktion wäre rein bühnentechnisch gar nicht möglich gewesen. Für eine passende Regieumsetzung ist auf der 50 Meter breiten Bühne einfach nicht genug Platz, um einen Abstand zu den anderen Darstellern zu gewährleisten. Daraufhin haben wir uns entschlossen, im heurigen Sommer eine Musicalrevue zu gestalten und ein vielfältiges Programm mit den schönsten Songs dieses Genres zusammenzustellen. Ein Conférencier wird durch den rund 90minütigen Abend führen, dazu gibt es eine minimal, vom Discoflair angehauchte Kulisse und passende Showeffekte.

Aufgrund von Corona ist kurzerhand ein neues Jukebox-Musical entstanden: ab 23. Juli in Steyr zu sehen! (Quelle: musikfestivalsteyr.at)

Auch der Zuschauerraum ist diesmal anders gestaltet, da die Abstände bei normaler Bestuhlung nicht eingehalten werden können. Deshalb werden wir über den Gastronomiebetrieb arbeiten, soll heißen: Da im Vergleich zu anderen Spielorten unsere Tribünen flexibel umgestaltet werden können, haben wir eine Menge freien Platz, um gemütliche Tische für maximal vier Personen aufzustellen. Speisen und Getränke können dann direkt an den Platz geliefert werden und es soll eine Clubatmosphäre entstehen, während auf der nun verkleinerten Bühne hochwertige Musicaldarbietungen zum Besten gegeben werden. Zusätzlich werden übrigens auch zwei Konzerte mit Herbert Lippert und Ildiko Raimondi, beide Ensemblemitglieder der Wiener Staatsoper, stattfinden. Bei Schlechtwetter werden unsere Veranstaltungen in den Steyrer Stadtsaal verlegt, weshalb wir auch nur eine verkleinerte Anzahl an Zuschauern zulassen.

Die Stimmung im Leading Team ist nach wie vor optimistisch! Wir sind ganz guter Dinge. Natürlich wäre uns ein ‚normaler‘ Theaterbetrieb lieber, durch die Maßnahmen haben wir eine ganze Menge an Arbeit mehr. Regie wird es im klassischen Sinne jetzt keine geben, sondern nur eine Abendspielleitung, Inspizienz sowie Techniker für Lichtdesign und Akustik. Das Ensemble steht noch nicht ganz fest, da durch Corona die Vertragsunterzeichnungen teilweise nicht abgeschlossen werden konnten. Aber bald werden wir die gesamte Besetzung bekanntgeben dürfen – wir freuen uns auf zahlreiches Kommen!“

Anders steht es um die Premiere von „Orpheus in der Unterwelt“ in Waidhofen an der Ybbs. Regisseurin Anna Bernreitner ist überglücklich, beinahe ohne Einschränkungen die geplante Produktion durchführen zu können:

„Als von der Bundesregierung die Beschränkungen für Indoor-Veranstaltungen offengelegt wurden, wussten wir, wir können heuer spielen. Vorher hatten wir trotz der Unsicherheiten nicht abgesagt, sondern gewartet und gehofft und gewartet und gehofft. Letztendlich hat es sich tatsächlich ausgezahlt. Der Spielort in der Waidhofner Eishalle hatte eigentlich zuvor nur konzeptionelle Gründe gehabt, um die Regie bestmöglich durchführen zu können – ich mache aus dem Besuch in der Unterwelt eine Rollschuhdisco – doch nun kommt er uns auch anders sehr gelegen, da wir viel Platz haben. Die Eishalle rettet uns, denn wir können noch dazu eine größere Tribüne bauen und die Zuschauer schachbrettartig mit genügend Abstand im Raum verteilen. Einen sicheren und reibungslosen Ablauf garantieren wir dem Publikum auch durch Regeln für Einlass und Pause und stellen genügend Desinfektionsspender auf.

In der Eishalle von Waidhofen/Ybbs kann man sich auf eine Rollschuhdisco gefasst machen (Quelle: operrundum/Anna Bernreitner)

In der Regie habe ich minimale Anpassungen vorgenommen. Da wir für so eine große Tribüne spielen, schadet der Abstand sowieso nicht. Auf diese Weise übertragen sich die Bilder besser. Ich habe es den Darstellern selbst überlassen, inwiefern sie den Mindestabstand einhalten wollen und respektiere die Entscheidung. Bei uns herrscht wirklich eine großartige Stimmung. Alle sind sehr erleichtert, endlich wieder arbeiten zu können. Der Sänger des Jupiter, Till von Orlowksy, hat beim Konzeptionsgespräch etwas sehr Schönes gesagt: Er sei nur ein halber Mensch, wenn er nicht arbeite. Künstler sei er erst, sobald er bei den Proben erscheint und nicht zuhause sitzt. Dem kann ich mich nur anschließen. Künstler zu sein, ist Teil unserer Persönlichkeit. Haben wir keine Bühne, fehlt dieser Teil von uns.“

Auch die alljährliche Sommerproduktion vom Verein teatro wird heuer stattfinden. Das Musical „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ wird aber nicht wie üblich im Stadttheater Mödling gastieren, sondern wandert stattdessen in die vom normalen Spielort nicht weit gelegene Europahalle in der Lerchengasse. Aufgrund der Verordnungen rund um Covid-19 haben sich auch neue Spieltermine finden lassen müssen; die Aufführungen sind nun für den Zeitraum 14. bis 30. August fixiert. Die Proben sind seit Anfang Juni wieder in vollem Gange und die Zuversicht auf eine trotz der äußeren Umstände professionelle Produktion ist groß.

Neuer Standort, neue Spielzeiten, aber dennoch durchführbar: Die Uraufführung von „Tom Saywer und Huckleberry Finn“ (Foto: Helmut Rasinger/teatro)

Groß ist natürlich auch in allen Fällen die Freude, tatsächlich spielen zu können, denn wer hätte Mitte März damit gerechnet, die Musiktheaterbranche so zeitig wieder hochfahren zu können? Es gibt nach wie vor Einschränkungen – völlig zu Recht, denn besonders in dieser Branche ist noch Vorsicht geboten. Noch sind wir nicht komplett über den Berg.

Dennoch ist es schön, dass Kunst und Kultur langsam, aber sicher zurückkehren. In den Monaten des Lockdowns ist sicherlich vielen bewusst geworden, welch wesentlichen Stellenwert Kunst in unserem Leben einnimmt und dass ohne sie etwas – besser gesagt, einiges – fehlt. Nicht nur den in der Branche Beschäftigten, von Bühnenarbeitern über Darstellern bis zu Regisseuren und natürlich auch Komponisten, sondern auch dem Publikum. Und vielleicht… vielleicht entwickelt sich dadurch ein tieferes Bewusstsein für die Kunst und erst recht für jene, die hauptberuflich in dieser Sparte aktiv sind.

Wir können uns somit auf einen Sommer freuen, in dem wir wider aller Erwartungen auf Musiktheater nicht gänzlich verzichten müssen – möge es so bleiben!